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Neuronale Plastizität: Wo tasten so gut ist wie sehen

Tast- und Sehsinn nehmen Objekte mit Hilfe vergleichbarer Merkmale wahr

Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH am 22. November 2021

Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum sie in der Lage sind, Objekte in ihrer Umgebung gleichermaßen mit dem Tastsinn aber auch mit dem Sehsinn zu erkennen – und zwar auch, wenn ihnen nur einer der zwei Sinne zur Verfügung steht? Genau dieses Phänomen haben Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftler des Sonderforschungsbereichs (SFB) 874 zum Schwerpunkt ihrer Forschung gemacht. Sie widmeten sich der Frage, warum visueller und taktiler Sinn in bestimmten Bereichen austauschbar sind. Die Erkenntnisse der Studie wurden nun in der renommierten Fachzeitschrift eNeuro veröffentlicht. Sie deuten darauf hin, dass dieselben Formmerkmale sowohl für den visuellen als auch für den taktilen Sinn relevant sind und in beiden Fällen zu einer vergleichbaren Wahrnehmung von Objekten führen.

Ausgangspunkt der Forschung waren zwei Beobachtungen des Forschungsteams. Erstens: dass das Fehlen eines der beiden Sinne die menschliche Wahrnehmung nicht maßgeblich stört. Und zweitens: dass im Alltag automatisch der Seh- und der Tastsinn anstelle des jeweils anderen verwendet wird.

„Uns kam die Frage, wie Menschen verschiedene Sinnesarten austauschen können, um mit ihrer Umbegbung zu interagieren“, so Erstautorin Sepideh Tabrik, Neurologische Universitätsklinik und Poliklinik am BG Universitätsklinikum Bergmannsheil. Und weiter: “Die Form ist ein entscheidendes Merkmal, um Objekte richtig wahrzunehmen. Während neurologisch aber viel über die visuelle Formverarbeitung bekannt ist, gibt es weniger Informationen über die taktile Formverarbeitung.”

Neuartige 3D-Objekte mit natürlichen Objekteigenschaften

Das Bochumer Team wählte einen Versuchsaufbau unter Einbezug von „Virtuell Reality (VR)“. Um natürliche Objekteigenschaften zu gewährleisten und gleichzeitig verfälschende Erinnerungen an bekannte Objekte bei den Testpersonen zu verhindern, entwickelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler komplett neuartige 3D-Objekte. Diese wurden einerseits zwar naturalistisch gestaltet, anderseits aber vollkommen andersartig und unerwartet in ihrer Form.

Da die aktive Erkundung eine wichtige Rolle bei der Formverarbeitung spielt, tauchten die Probandinnen und Probanden bei den visuellen Tests in eine Virtual Reality-Umgebung ein, in der sie die 3D-Objekte visuell erkunden konnten, ohne den Tastsinn zu benutzen. Danach ertasteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer während des taktilen Verfahrens aktiv eine 3D-gedruckte Version der gleichen Objekte mit beiden Händen und verbundenen Augen.

Übereinstimmende Wahrnehmung ohne vorherige Erfahrung oder Erinnerung

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten zeigen, dass sowohl der visuelle als auch der taktile Sinn zur Bildung von übereinstimmenden Wahrnehmungen führten. „Beeindruckend war dieses Ergebnis insbesondere wegen der Neuartigkeit der Objektformen für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die übereinstimmende Wahrnehmung bildete sich ohne jegliche Vorerfahrung oder Erinnerung“, so Prof. Dr. Martin Tegenthoff, Direktor Neurologische Universitätsklinik und Poliklinik am BG Universitätsklinikum Bergmannsheil. “Weiterhin war zu beobachten, dass beide Sinne ähnliche Merkmale verwenden, um das Objekt wahrzunehmen”, ergänzt Tabrik. “Dies deutet darauf hin, dass beide Sinnesarten einen ähnlichen kognitiven Prozess zur Darstellung von Forminformationen nutzen. Dies könnte erklären, warum Menschen verschiedene Sinnesarten austauschbar nutzen können.”

Originalveröffentlichung:

Sepideh Tabrik, Mehdi Behroozi, Lara Schlaffke, Stefanie Heba, Melanie Lenz, Silke Lissek, Onur Güntürkün, Hubert R Dinse, Martin Tegenthoff: Visual and Tactile Sensory Systems Share Common Features in Object Recognition, in: eNeuro, 2021, Oct 4;8(5):ENEURO.0101-21.2021. doi: 10.1523/ENEURO.0101-21.2021

Förderung:

Die Studie wurde durch den Sonderforschungsbereich 874 (SFB 874) der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Der SFB 874 „Integration und Repräsentation sensorischer Prozesse“ besteht seit 2010 an der Ruhr-Universität Bochum.

Link zur Publikation:
https://www.eneuro.org/content/8/5/ENEURO.0101-21.2021

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