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Wie das Gedächtnis die Wahrnehmung schärft

Ein Computermodell liefert neue Erkenntnisse über die Funktion eines Hirnareals, das für das Langzeitgedächtnis verantwortlich ist.

Ruhr-Universität Bochum am 13. Februar 2020

Neuroinformatiker der RUB haben mithilfe eines Computermodells gezeigt, dass der mediale Temporallappen indirekt an Wahrnehmungsprozessen beteiligt sein könnte. Traditionell wird diese Gehirnregion mit dem Langzeitgedächtnis in Verbindung gebracht. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher online in dem Fachmagazin Hippocampus am 30. Dezember 2019.

Verschiedene Hirnstrukturen im medialen Temporallappen, kurz MTL, sorgen gemeinsam dafür, dass Menschen sich bewusst an Fakten und Erlebnisse erinnern können. Es gibt jedoch auch Hinweise aus der Forschung, dass der MTL außerdem an Wahrnehmungsprozessen beteiligt ist. Bei Patienten mit einer Schädigung im MTL ist zum Beispiel nicht nur das Gedächtnis beeinträchtigt, sondern ebenfalls die Fähigkeit, verschiedene Objekte voneinander zu unterscheiden.

Einige Neurowissenschaftler sehen diese Ergebnisse als Hinweis darauf, dass der MTL an der Verarbeitung von visuellen Informationen beteiligt sein könnte. Andere Forscher gehen davon aus, dass das Unterscheiden von Objekten auch das Gedächtnis fordert und Patienten mit eingeschränktem Erinnerungsvermögen deshalb weniger gut bei der Aufgabe abschnitten.

Computeralgorithmus mit Gedächtnis

Die RUB-Forscher Prof. Dr. Sen Cheng, Prof. Dr. Laurenz Wiskott und Richard Görler vertreten eine andere Theorie: Sensorische Repräsentationen – und damit die Fähigkeit, Sinneseindrücke zu interpretieren – werden zwar zunächst durch die Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen gelernt, jedoch könnten sie im weiteren Verlauf verbessert werden, indem das Gehirn Erfahrungen aus dem Gedächtnis erneut abspielt.

Um diese Theorie zu überprüfen, ließen die Forscher einen Computeralgorithmus – die Slow Feature Analysis – eine visuelle Unterscheidungsaufgabe absolvieren. Zunächst musste der Algorithmus lernen, zwei verschiedene Abbildungen zu erkennen; er erstellte eine visuelle Repräsentation der beiden Bilder. Eines zeigte den Buchstaben T und eines den Buchstaben L. Bei der Erstellung der visuellen Repräsentationen stand dem Algorithmus in einem Versuchsteil eine Art Gedächtnis zur Verfügung, im zweiten Teil jedoch nicht.

Besser mit Gedächtnis

Nun mussten sich der Algorithmus mit und der Algorithmus ohne Gedächtnis der visuellen Unterscheidungsaufgabe stellen. Darin sollten sie erkennen, ob verschiedene Abbildungen eher dem Buchstaben T oder L ähnelten. Präsentiert wurden die Buchstaben auf einem rauschenden Hintergrund. Zudem überlagerten sie sich gegenseitig. „Der Algorithmus arbeitet besser, je weniger Beachtung er dem Rauschen im Hintergrund schenkt“, erklärt Richard Görler, Erstautor der Studie.

Der Algorithmus, der seine visuelle Repräsentation der Buchstaben mit Unterstützung eines Gedächtnisses bilden konnte, schnitt in der Unterscheidungsaufgabe besser ab als der Algorithmus, der ohne Erinnerungen trainiert hatte. Für die RUB-Forscher bedeutet dieses Ergebnis, dass der mediale Temporallappen zwar keine direkte Rolle in der Verarbeitung von Sinnesinformationen hat, aber durch seine Funktion als Gedächtnisstütze dazu beiträgt, dass Sinneswahrnehmungen akkurater interpretiert werden können.

Originalveröffentlichung

Richard Görler, Laurenz Wiskott, Sen Cheng: Improving sensory representations using episodic memory, in: Hippocampus, 2019, DOI: 10.1002/hipo.23186

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