Bundesweit größtes Projekt zum Medizinischen Kinderschutz geht in die Erprobungsphase
Neun Kinder- und Jugendkliniken und 18 Kinder- und Jugendarztpraxen starten mit der Erprobungsphase eines für das Ruhrgebiet flächendeckenden medizinischen Kinderschutzes. Das Ziel ist langfristig Kindeswohlgefährdungen zuverlässiger aufzudecken, zu behandeln und zu verhindern. Seit gut einem Jahr arbeiten 21 Partner aus dem Gesundheits- und Sozialwesen unter der Leitung von MedEcon Ruhr, dem Netzwerk der Gesundheitswirtschaft im Ruhrgebiet, in dem Projekt MeKidS.best – Medizinischer Kinderschutz im Ruhrgebiet, zusammen.
Das Projektkonsortium hat in großer Anstrengung neue Strukturen aufgebaut, in der die Standards der Kinderschutzleitlinie (AWMF S3+ Leitlinie Kindesmisshandlung, -missbrauch, -vernachlässigung unter Einbindung der Jugendhilfe und Pädagogik) umgesetzt werden, um das Thema des medizinischen Kinderschutzes auf ein breites und solides Fundament zu stellen. „Wir sind sehr froh“, berichtet Projektleiterin Berit Schoppen von der MedEcon Ruhr GmbH, „nun die wichtigen strukturellen Voraussetzungen geschaffen zu haben, um mit der Erprobungsphase einen bedeutenden Schritt nach vorne zu gehen.“
Seit Beginn dieses Jahres setzen die sogenannten MeKidS.units (Kinder- und Jugendkliniken) und MeKidS.Praxen an der Ruhr die erarbeiteten Ziele im Echtzeitbetrieb um. „Nie war es wichtiger als jetzt, dass wir mit der praktischen Arbeit beginnen können“, sagt Inja Klinksiek aus dem MeKidS.best Projektteam, „Durch die Coronakrise gehen viele Experten*innen davon aus, dass die Zahl der Kindeswohlgefährdungen nochmal deutlich zugenommen hat. Mit MeKidS.best hoffen wir, mehr Fälle aufzudecken.“ Die Dunkelziffer von Kindeswohlgefährdungen wird bundesweit sehr hoch eingeschätzt.
Das Problem des Kinderschutzes liegt nicht zuletzt in der Finanzierung. Es gibt bis heute keine klare Regelung, wie Leistungen, die in Kliniken oder Praxen erbracht werden, abzurechnen sind. Berit Schoppen: „Die Ursache für ein fehlendes Vergütungssystem liegt auch in einer klaren Definition von standardisierten Leistungen.“ Jeder Arzt weiß z.B. bei Husten oder Halsschmerzen genau was abgerechnet werden kann. Bei dem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung ist das bis heute nicht geregelt. Das wird sich am Ende des MeKidS.best Projekts nach Willen der Projektpartner grundlegend ändern.
In der nun gestarteten Erprobungsphase setzt MeKidS.best auf zwei Wege. Zum einen werden in allen teilnehmenden Kinder- und Jugendkliniken zusätzliche Personalstellen eingerichtet, die auf das Thema Kinderschutz speziell geschult werden, und zum anderen werden die unterschiedlichen Akteure des Kinderschutzes besser miteinander vernetzt. Als Grundlage für die beiden Wege dienen die vom MeKidS.best Konsortium erarbeiteten fünf Ziele: das sichere Erkennen von Kindeswohlgefährdung, die zuverlässige Diagnose und rechtssichere Dokumentation, ein besserer Zugang der Jugendämter zu medizinischer Expertise, die schnelle Weiterleitung betroffener Kinder aus medizinischen Einrichtungen an die Jugendämter und somit das mittel- und langfristige Sicherstellen einer Betreuung betroffener Familien.
Somit arbeiten Ärzt:innen, Psycholog:innen, Sozialarbeiter:innen und Pfleger:innen in Teams zusammen und bündeln Kompetenzen, die akut betroffenen Kindern und Familien helfen. In der konkreten Anwendung bedeutet das für die teilnehmenden Einrichtungen der Erprobungsphase eine sichere Diagnose anhand festgelegter Standards und eine strukturierte Weiterleitung der Informationen an weitere relevante Akteure. Mittel- und langfristig soll sich so die Dunkelziffer an Kindeswohlgefährdungen in der Modellregion deutlich verringern. Was in Deutschlands größtem Ballungsraum erarbeitet und erprobt wird, will letztlich Maßstäbe für bundesweite Regeln im medizinischen Kinderschutz setzen.