Löhne in Altenpflege oft niedrig und mit hohen regionalen Unterschieden
Trägerübergreifende Qualitäts- und Verantwortungsgemeinschaften stärken!
IAT-Studie untersuchte regionale Entwicklungspfade überbetrieblicher Arbeitsbeziehungen in der Care-Arbeit
Pflegerische Versorgung in Deutschland sollte kleinräumiger geplant und organisiert werden. Damit Verbesserungen für Pflegebedürftige und Angehörige nicht zu Lasten der Beschäftigten gehen, sind neue Strategien zur Aufwertung der Pflegearbeit vor Ort notwendig.
Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung von Arbeit in der Altenpflege steigt, gleichzeitig bleiben jedoch die Entgelte niedrig und driften zudem noch zwischen den Regionen auseinander. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Expertise, die das Institut Arbeit und Technik (IAT) der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) erstellt hat. „Ohne Zweifel wurde in den vergangenen Jahren die Effizienz in der Altenpflege deutlich gesteigert, dies wurde jedoch nicht selten durch mehr regionale, berufsgruppen- und qualifikationsspezifische Ungleichheiten bei Entgelten und Arbeitsbedingungen erkauft“, kritisiert die IAT-Forscherin Michaela Evans.
Bereits heute gibt es Regionen, in denen das Entgeltniveau der Pflege nicht nur deutlich unter den mittleren Löhnen aller Berufe in Deutschland, sondern auch unter den durchschnittlichen Einkommen, den Bruttomedianentgelten, in der Altenpflege selbst liegt. Das gilt etwa für Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein oder Berlin. Und auch bei der Tarifstreuung in der Sozialwirtschaft insgesamt gibt es regional riesige Unterschiede: In Bayern realisieren freigemeinnützige Träger mit dem niedrigsten Entgelt (gezahlte Entgelte pro geleisteter Arbeitsstunde) immerhin noch 78,1 Prozent des Trägers mit dem höchsten Entgelt, in Baden-Württemberg noch 66,8 Prozent. In Niedersachsen dagegen werden nur noch 60,8 Prozent des höchsten gezahlten Entgelts erreicht, in Bremen sind es sogar nur 58,9 Prozent.
Die Entwicklungsdynamik von Pflegemärkten und Entgelten in der Altenpflege differiert je nach Region: In Teilen Bayerns, Baden-Württembergs oder Nordrhein-Westfalens werden derzeit hohe Pflegesätze realisiert, tradierte Anbieter können mit gesicherten Marktanteilen noch ein im regionalen Vergleich hohes Tarifniveau sicherstellen. Demgegenüber gibt es Teilregionen in Berlin, Thüringen oder in Hessen, in denen tradierte Anbieter erhebliche Marktanteile eingebüßt haben, aus den teuren Tarif- bzw. Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR)-Strukturen aufgrund des Preisdrucks aussteigen und sich neue Tarifpartner suchen.
Schließlich gibt es Regionen mit einer sehr vielfältigen und kleinteiligen Tarif-/AVR-Landschaft. Hier dominiert der „tarifpolitischer Häuserkampf“ mit relativ niedrigen Pflegesätzen, erheblichem Preisdruck unter den Anbietern bei einem im interregionalen Vergleich niedrigen Tarifniveau. Weil es in solchen Regionen zunehmend schwierig wird, leistungsfähiges Personal einzustellen und zu halten, gewinnen hier neuerdings „Bündnisse des letzten Augenblicks“ sowie neue, trägerübergreifende Tarifarrangements an Bedeutung. Beispiele hierfür finden sich in Niedersachen, Bremen, aber auch in Baden-Württemberg ist kürzlich ein „Bündnis für Tariftreue“ entstanden. „Für regionale Fachkräftestrategien in der Altenpflege stellen solche trägerübergreifenden Qualitäts- und Verantwortungsgemeinschaften eine wichtige Option dar, insbesondere vor dem Hintergrund des Pflegestärkungsgesetzes III“, stellt Michaela Evans fest.
„Die Ergebnisse der Studie verweisen darauf, dass einige Pflegeregionen in Deutschland drohen tarifpolitisch abgehängt zu werden“, warnt die IAT-Forscherin. Hier müsse beobachtet werden, wie sich künftig das Zusammenspiel von Pflegemärkten, Entgeltstrukturen und Arbeitsbedingungen entwickelt. Ein entsprechendes Monitoringsystem für die Altenpflege ist aber derzeit nicht in Sicht.
Eine zentrale Ursache der regionalen Fragmentierung sieht Evans darin, dass Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen in der Altenpflege im Vergleich mit anderen Wirtschaftsbranchen weder historisch, programmatisch noch in ihren Handlungsroutinen darauf eingestellt sind, Arbeitsbedingungen und Entgelte flächendeckend zu verhandeln und durchzusetzen. Es braucht dringend neue Wege, die Pflegebranche bei solchen neuen Wegen vor Ort für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu unterstützen. Hierfür muss nicht nur ein Ruck durch die Branche gehen, hier ist am Ende auch die Politik gefordert.
Zum Hintergrund:
Auf dem Pflegemarkt in Deutschland gibt es rund 13.000 Pflegeheime und 12.700 ambulante Pflegedienste. Rund 320.000 Beschäftigte sind in ambulanten Pflegediensten, 685.500 Beschäftigte in den Pflegeheimen in Deutschland tätig. In den ambulanten Pflegediensten liegt der Anteil weiblicher Beschäftigter bei 87 Prozent, wobei 36 Prozent des Personals der Alterskategorie „50 Jahre und älter“ zuzurechnen sind. Mehr als zwei Drittel der Pflegebedürftigen, rund 1,86 Millionen Menschen, werden zu Hause von Angehörigen versorgt.