Krebsförderndes Ras-Protein liegt in Zellen im Doppelpack vor
Beinahe alle Versuche, das Ras-Protein als Angriffsstelle für Medikamente zu nutzen, schlugen bislang fehl. Neue Erkenntnisse über seine Struktur wecken Hoffnung auf Optionen für die Medikamentenentwicklung.
Forschende aus Bochum und Osnabrück haben neue Einblicke in die Struktur des Ras-Proteins gewonnen, das als molekularer Schalter des Zellwachstums fungiert und an der Entstehung von Krebs beteiligt ist. Mithilfe von Fluoreszenzmarkierungen wiesen sie nach, dass sich das Protein als Doppelpack an die Zellmembran anlagert, und zwar genau mit der Struktur, die sie bereits 2012 theoretisch vorhergesagt hatten. Das Team vom Bochumer Zentrum für Proteindiagnostik (PRODI) hofft, dass diese Erkenntnisse einen neuen Ansatz für die Entwicklung von Krebs-Medikamenten eröffnen. Die Ergebnisse publizierten die Forschenden der Ruhr-Universität Bochum (RUB) und der Universität Osnabrück im Journal of Chemical Science im Mai 2021.
Im angeschalteten Zustand ist an das Ras-Protein das Molekül Guanosintriphosphat, kurz GTP, gebunden. Spaltet Ras eine der Phosphatgruppen vom GTP-Molekül ab, schaltet es dadurch das Zellwachstum aus. Fehlfunktionen des Ras-Proteins können dazu führen, dass es im eingeschalteten Zustand verbleibt oder sich stark verzögert abschaltet. Das verursacht unkontrolliertes Zellwachstum und in der Folge Krebs. Nahezu alle Versuche, einen Wirkstoff zu finden, der an einzelne Ras-Proteine andockt, sind bisher fehlgeschlagen.
Im Doppelpack stärker
Inzwischen haben andere Studien gezeigt, dass durch die Zusammenlagerung von Ras zum Doppelpack das Signal für das Zellwachstum deutlich besser weitergeleitet wird. „Würde man eine Möglichkeit finden, die Doppelpack-Bildung von fehlfunktionierenden Ras-Proteinen mit einem Wirkstoff zu stören, würde deren Signal für das Zellwachstum deutlich abgeschwächt,“ sagt Prof. Dr. Klaus Gerwert, Gründungsdirektor von PRODI. „Daher bietet das Wissen um die Ras-Doppelpackstruktur einen neuen Ansatzpunkt für Wirkstoffe gegen Krebs.“ Bioinformatische Methoden könnten bei der Suche nach potenziellen Wirkstoffen helfen. „Dafür muss allerdings die genaue Struktur der Schnittstelle zwischen den beiden Ras-Proteinen bekannt sein“, erläutert Dr. Till Rudack, Erstautor der aktuellen Studie.
Viele verschiedene widersprüchliche Doppelpack-Modelle
2012 ermittelte die Bochumer Gruppe um Klaus Gerwert mit einer selbst entwickelten Kombination von computergestützten und experimentellen Methoden eine Struktur für den Ras-Doppelpack an der Zellmembran. Mit biomolekularen Simulationen sagte die Gruppe außerdem ein erstes Modell der Schnittstelle zwischen den beiden Proteinen vorher. Die exakte Struktur der Schnittstelle wurde in den folgenden Jahren jedoch kontrovers diskutiert, und viele weitere widersprüchliche Strukturmodelle vorhergesagt. „Um die Kontroverse aufzulösen, sind experimentelle Daten zur eindeutigen Validierung der Modelle nötig“, so Privatdozent Dr. Carsten Kötting, Projektgruppenleiter am PRODI. Diese Daten lieferten die Forschenden in ihrer aktuellen Arbeit.
Sie nutzten das FRET-Verfahren, kurz für Fluoreszenz-Resonanz-Energie-Transfer, das wie eine Art molekularer Zollstock funktioniert, mit dem man Abstände zwischen Proteinen messen kann. Dabei werden zwei Proteine mit zwei verschiedenen Farbstoffen markiert. Sind sie sehr dicht beieinander, wird Energie von einem Farbstoff zum anderen übertragen. Aus dem Anteil der übertragenen Energie lässt sich der Abstand der Proteine ermitteln. Um die Ausrichtung der beiden Ras-Proteine im Doppelpack zueinander zu bestimmen, mussten die Wissenschaftler die Abstände an verschiedenen Punkten messen. „Wir haben ein innovatives Verfahren angewendet, um Aminosäuren in das Ras-Protein einzubauen, die natürlicherweise nicht in diesem vorkommen, aber an die die Farbstoffe koppeln können,“ erklärt Carsten Kötting.
Austausch von Aminosäuren zerstört den Doppelpack
So maßen die Wissenschaftler insgesamt vier unterschiedliche Abstände. Anschließend überprüften sie, zu welchen Doppelpack-Modellen diese Abstände passten. Alle bereits publizierten Doppelpack-Modelle sowie weitere 100 potenzielle Modelle, die sie computergestützt vorhergesagt hatten, bezogen sie in die Analyse ein. Doch nur eine Anordnung des Doppelpacks war mit allen vier experimentell bestimmten Abständen im Einklang. „Diese Anordnung entspricht der von uns bereits 2012 vorhergesagten Struktur,“ resümiert Till Rudack.
In weiteren Versuchen tauschten die Forscher zwei der wichtigsten Aminosäuren an der Kontaktstelle zwischen den beiden Ras-Proteinen aus. Das Ergebnis: Es bildete sich kein Doppelpack mehr. „Dass wir die Bildung eines Doppelpacks durch den Austausch von Aminosäuren verhindern konnten, stimmt mich optimistisch, die Kontaktstelle des Ras-Doppelpacks in Zukunft als Angriffspunkt für Wirkstoffe nutzen zu können“ gibt Klaus Gerwert einen Ausblick.
Förderung
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft förderte die Arbeiten im Rahmen des Projekts „Molekulare Reaktionsmechanismen heterotrimerer G-Proteine“ (GE 599/20-1 und KO 3813/1-1). Weitere Unterstützung kam vom NRW-Ministerium für Kultur und Wissenschaft und vormals im Rahmen der Protein Research Unit Ruhr within Europe (PURE), die vom NRW-Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung gefördert wurde.
Originalveröffentlichung
Till Rudack, Christian Teuber, Marvin Scherlo, Jörn Güldenhaupt, Jonas Schartner, Mathias Lübben, Johann Klare, Klaus Gerwert, Carsten Kötting: The Ras dimer structure, in: Chemical Science, 2021, DOI: 10.1039/d1sc00957e