Wie kann professionelle und würdevolle Pflege im Corona-Herbst gelingen?
Expertin empfiehlt für den kommenden Corona-Herbst einen stärkeren Fokus auf die Pflegesituation in Deutschland
Die Corona-Debatte ist zurück und die Sorge vor den voraussichtlich steigenden Infektionszahlen im Herbst 2022 bereitet Wissenschaft, Politik und Gesellschaft Sorgen. Ist Deutschland auf eine mögliche vierte Welle gut vorbereitet?
Um die Bewältigung der Pandemie zu gewährleisten, berät regelmäßig der „Expert:innenrat der Bundesregierung“, dem 19 Expert:innen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen angehören. In einer aktuellen Veröffentlichung vom 24. Mai 2022 werden erneut Wege zur zukünftigen Pandemiebekämpfungen in Pflegeeinrichtungen aufgezeigt. Mit Blick auf das Pflegesystem sei allerdings noch Luft nach oben, sagt Margareta Halek, Pflegewissenschaftlerin und Dekanin der Gesundheitsfakultät an der Universität Witten/Herdecke: „Die dramatische Situation in der Vergangenheit sollte sich nicht wiederholen, es müssen Lehren hieraus gezogen werden, und vorausschauend Maßnahmen zur Verbesserung geplant werden“, so die Pflegeexpertin.
Der Deutsche Pflegerat (DPR), der sich für die optimale Ausübung der Profession einsetzt, sieht die Pflege- und Hebammenberufe im Expert:innen-Gremium der deutschen Bundesregierung nicht ausreichend repräsentiert. Kein Wunder, denn keine einzige Pflege- oder Hebammenwissenschaftlerin oder Pflege- oder Hebammenwissenschaftler ist Bestandteil.
Punkte-Plan für eine bessere Pflege in Coronazeiten
Deshalb wurde bereits im März 2022 ein eigenständiges Gremium „Pflegewissenschaft/Hebammenwissenschaft und Pandemie“ gegründet. Ziel war es, im Frühsommer 2022 konkrete Handlungsempfehlungen für eine bessere und vorausschauende Pflegesituation in Deutschland präsentieren zu können. In einer Stellungnahme mit dem Titel „Vorbereitung auf eine weitere SARS-CoV-2-Welle im Herbst 2022 in der Pflege und im Hebammenwesen“ vom 23. Juni präsentiert der deutsche Pflegerat, dem auch Margareta Halek angehört, nun einen 10-Punkte-Plan, um ein gemeinsames Handeln und eine zeitnahe Vorbereitung zwischen Politik und Gesundheitswesen mit Blick auf die herausfordernde Situation in der Pflege zu ermöglichen. Dieser Plan geht dabei über die vom „Expert:nnenrat der Bundesregierung“ formulierten Empfehlungen deutlich hinaus.
Beispielweise empfiehlt der DPR in seiner Stellungnahme, dass im Rahmen der stationären Langzeitpflege alle Einrichtungen durchgehend geöffnet bleiben und nur dann Einschränkungen greifen sollten (beispielsweise in den Besuchszeiten), wenn die Pandemielage am Ort der Einrichtung es nicht anders zulässt. Und dies nur „vor dem Hintergrund der einrichtungsbezogenen und lokalen Impfquote sowie der vorherrschenden Virusvariante“ und somit keine Pauschalschließungen mehr.
Keine Vereinsamung mehr
Mit Blick auf die Pflegesituation im Krankenhaus empfiehlt das Expert:innen-Gremium, dass Angehörige von pflegebedürftigen Personen unbedingt fester Bestandteil des Behandlungskonzeptes sein sollten – auch in Zeiten der Pandemie. „Natürlich geben die Pflegenden und Mediziner:innen in den Krankenhäusern ihr Bestes. Doch wir wissen, dass kein Personal die Anwesenheit und Unterstützung durch Angehörige zu 100 Prozent ersetzen kann. Vor allem bei Personen, die schwer pflegebedürftig sind und kaum noch soziale Kontakte haben, ist die soziale Teilhabe immens wichtig“.
Auch sei es wichtig, dass Pflegefachpersonen und Hebammen autorisiert werden, Schutzimpfungen durchzuführen, um Menschen mit einem erhöhtem Risiko vor gesundheitlichen Komplikationen zu schützen.
Zudem wünscht sich der DPR, dass Pflege- und Hebammenforschung gefördert werden, um bessere Entscheidungsgrundlagen zum Umgang mit SARS-CoV-2 zu schaffen. „Im nunmehr dritten Jahr der Pandemie findet die internationale Forschung zu adäquaten Interventionen weitestgehend ohne Beteiligung der deutschen Pflege- und Hebammenwissenschaft statt. Dieser Mangel steht im Gegensatz zur Bedeutung der Pflege- und Hebammenpraxis zur Bewältigung der Pandemie. Es fehlt grundlegendes Wissen, etwa zu Wirksamkeit und unerwünschten Wirkungen von Infektionsschutzmaßnahmen bei pflegebedürftigen oder vulnerablen Personen“, heißt es in der Stellungnahme.
Alle Berufsgruppen einbeziehen
„Wir sollten die Maßnahmen überdenken und uns vor Augen führen, wie vielschichtig das gesamte Spektrum professioneller Pflege- und Hebammenarbeit ist. Die Bekämpfung einer Pandemie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nicht allein durch Ausgrenzung bestimmter Gruppen realisiert werden kann. Alle an der Pflege beteiligten Personen, die Pflegebedürftigen selbst und pflegende Angehörige sowie die entsprechenden Berufsgruppen müssen einbezogen werden, und ihre Standpunkte und Perspektiven einbringen können. Die Empfehlungen des Expertenrats machen deutlich, dass die Berufsgruppe der Pflege durch ihre Expertise sehr viel mehr zur Bewältigung der Pandemie beizutragen hat, als ihr bisher zugestanden wurde. Wir hoffen, dass sie in Zukunft mehr Gehör findet“, betont Halek.
Alle Handlungsempfehlungen des DPR finden sich auf folgender Website: https://deutscher-pflegerat.de