Vom Rollstuhl aufs Fahrrad
Neue Immuntherapie hilft gegen Myasthenie
Ein internationales Forscherteam aus Deutschland und den USA hat einen großen Erfolg im Kampf gegen die bisher unheilbare Autoimmunerkrankung Myasthenie erzielt. Dabei ist die Informationsübertragung von Nerven auf die Muskeln durch krankmachende Eiweißstoffe (Antikörper) gestört, so dass gravierende Beeinträchtigungen elementarer Bewegungen entstehen können. In schlimmen Fällen kann der Patient kaum noch laufen, schlucken, lachen oder kauen. Auch die Atemmuskulatur ist häufig gestört, und der Kopf kann auf Grund von Nackenschwäche nicht mehr korrekt gehalten werden. In Deutschland leiden rund 15.000 Menschen unter dieser Krankheit.
Im Rahmen einer individuellen Heilanwendung an den Forschungsstandorten Bochum und Magdeburg gelang es durch eine Behandlung mit gentechnisch veränderten weißen Blutkörperchen (CAR-T-Zellen), schwer erkrankte Patienten so zu stabilisieren, dass sie wieder an ihrem gewohnten Leben in großem Umfang teilhaben können. Die ersten Ergebnisse zu dieser neuartigen Immuntherapie bei Myasthenie wurden in der international führenden Fachzeitschrift Lancet Neurology veröffentlicht.
Fünf Patienten und Patientinnen wurden gemeinsam von Prof. Ralf Gold (Universitätsklinik für Neurologie, St. Josef-Hospital) und Prof. Roland Schroers (Abteilung für Hämatologie, Onkologie und Stammzellen-/Immuntherapie, Universitätsklinik Knappschaftskrankenhaus Bochum) mit sogenannten CAR-T-Zellen behandelt, eine weitere Patientin wird folgen. Zwei Patientinnen sind es in der Neurologie der Universitätsklinik Magdeburg. Für die Bochumer Patientinnen wurde im Knappschaftskrankenhaus zunächst eine Leukapherese zur Entnahme weißer
Blutkörperchen durchgeführt. Die so gewonnenen und eingefrorenen Zellen brachte ein Spezialtransport anschließend in die USA, wo sie das Biomedizin-Unternehmen Kyverna (Emeryville, Kalifornien) in der Zellkultur gentechnisch veränderte und zu CAR-T-Zellen aufbereitete. Zurück in Deutschland, verabreichten die Ärzte in Bochum und Magdeburg die CAR-T-Zellen erfolgreich ihren Patienten.
CAR-T-Zellen finden nach der Infusion in den Körper sowohl im Knochenmark als auch in den Lymphorganen den Weg zu krankmachenden B-Zellen, die u.a. die blockierenden Antikörper bei Myasthenie produzieren. Nach Vernichtung dieser B-Zellen sanken in den Folgewochen die Antikörperspiegel, und die Muskelkraft der Patienten verbesserte sich stetig. So war die erste Bochumer Patientin seit drei Jahren an einen Elektrorollstuhl gebunden und konnte in dieser Zeit nur kurze Strecken gehen. Bereits drei Monate nach Gabe der CAR-T Zellen läuft sie schon mehr als 500 Meter ohne Hilfsmittel und kann wieder Fahrrad fahren. Vor kurzem hat sie selbständig auf dem Campingplatz gezeltet, der Rollstuhl steht seither im Keller.
„Die Patienten haben außergewöhnliche Fortschritte gemacht, die in derart schweren neurologischen Fällen nur selten vorkommen“, betont Prof. Gold. Die Ergebnisse dieser individuellen Heilanwendung müssen nun durch weitere Studien erhärtet werden. Bereits jetzt sieht er neue Perspektiven für weitere Krankheiten wie etwa Multiple Sklerose: „Auch dort sind es oft die B-Zellen, die desaströs wirken. Durch die erfolgreiche gentechnische Immuntherapie bei Myasthenie öffnen sich uns in der Forschung nun Türen, die bisher verschlossen waren.“
„Mit CAR-T-Zellen konnte in den vergangenen fünf Jahren bereits vielen Patienten mit Leukämien und verschiedenen Lymphknotenkrebsarten geholfen werden – einige Behandelte gelten heute als geheilt“, betont Prof. Schroers. Die Aussicht einer Anwendung dieses neuartigen Verfahrens bei Krankheiten mit überschießenden Immunreaktionen gegen körpereigene Gewebe und Zellen ist eine vielversprechende Perspektive für Betroffene mit verschiedenen rheumatischen Erkrankungen und anderen Autoimmunkrankheiten.“