Überlebenschance bei Sepsis durch individualisierte Medizin erhöhen
Klassifikationsmodelle für personalisierte Therapie
Bundesweit erkranken jedes Jahr rund 280.000 Menschen an einer Sepsis, so die Angaben der „Sepsis Stiftung“. Ein Drittel bis die Hälfte der Patienten stirbt daran. Damit ist eine Blutvergiftung die dritthäufigste Todesursache in Deutschland. Doch woran liegt diese hohe Sterblichkeitsrate, die trotz der sich stetig verbessernden medizinischen Versorgung nicht sinkt? Mit dieser Frage beschäftigt sich Professor Dr. Michael Adamzik, Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie am Universitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus Bochum. Er hat daher mit weiteren Experten das „SepsisDataNet.NRW“ ins Leben gerufen, um in den nächsten drei Jahren anhand einer groß angelegten Datenerhebung Klassifikationsmodelle zu entwickeln, die künftig eine am jeweiligen Immunstatus angepasste, individualisierte Therapie ermöglichen und so die Sterblichkeit um ein Vielfaches reduzieren soll. Unterstützt wird das Projekt vom Land Nordrhein-Westfalen mit einer Förderung von fast vier Millionen Euro.
Eine Sepsis entsteht, wenn eine körpereigene Abwehrreaktion gegen eine Infektion plötzlich das eigene Gewebe schädigt und beginnt, die Organe des Körpers anzugreifen. Ursache ist nicht immer eine sichtbare entzündete Wunde, sondern häufig eine Infektion wie eine Lungenentzündung, Hirnhautentzündung oder ein Harnwegsinfekt. Wird eine Sepsis nicht schnell erkannt und sofort behandelt, kann sie zu Schock, Multiorganversagen und Tod führen. Die zügige Einleitung zeitkritischer Behandlungsmaßnahmen, insbesondere Antibiotika, intravenöse Flüssigkeitsgabe und gezielte Behandlung zur Instandhaltung des Blutkreislaufs, können das Sterberisiko halbieren.
Doch mit dieser Quote will sich der Sepsis-Experte Professor Adamzik nicht zufriedengeben. „Unter einer Sterblichkeitsrate von 40 Prozent schaffen es selbst die besten Kliniken nur selten. Grund dafür ist, dass Patienten mit einer Sepsis im Grunde alle gleich behandelt werden, und zwar symptomatisch.“ Biomarker oder klinische Testverfahren, die dieses komplexe immunologische Syndrom gut charakterisieren, existieren nicht, sodass derzeit noch keine individuelle Therapie möglich ist. Des Weiteren sind die zeitliche Abfolge und die Stärke der inflammatorischen (entzündlich) und anti-inflammatorischen (nicht-entzündlich) Antwort auf eine entsprechende Behandlung höchst individuell, sodass trotz zahlreicher Forschungen und Publikationen bis heute drei wesentliche Aspekte der septischen Reaktion unklar sind: Welches immunologische Verhältnis von Inflammation und Anti-Inflammation wirkt sich wie auf den Krankheitsverlauf aus? Wie kann der Arzt die jeweilige immunologische Situation des Patienten erfassen und bestimmen? Wie kann anhand der Erfassung der immunologischen Situation im Krankheitsverlauf eine individuell angepasste Therapie erfolgen? Antworten darauf soll künftig das „SepsisDatNet.NRW“ geben, das anhand einer groß angelegten Datenerhebung im Sinne von „Big Data“ die Digitalisierung und Vernetzung von Universitätskliniken in NRW (Bochum, Bonn, Köln, Münster, Witten-Herdecke) sowie durch das Einbinden von Experten aus den Bereichen Immunologie, Bioinformatik und Intensivmedizin den Aufbau einer Biomaterialdatenbank möglich machen wird.
Sepsis-Patienten wird dafür beispielsweise in den ersten 30 Tagen ihrer Erkrankung Blut entnommen, um die sich in dieser Zeit immer wieder verändernde Zusammensetzung der Proteine zu untersuchen und daraus ein Muster abzuleiten, welches für Überleben und Sterben und Abwehr und Nicht-Abwehr steht. „Bisher konnten wir nie das gesamte Bild sehen. Durch das Sammeln dieser vielen Daten und Auswerten anhand von intelligenten Algorithmen hoffen wir, endlich die einzelnen Mosaiksteinchen zu einem großen Ganzen zusammenfügen zu können“, so der Projektleiter des Konsortiums. „Das ist mühevoll und fordert Kooperationsgeist, doch aufgrund der erschreckenden Letalitätsstatistik, der neuen technischen Möglichkeiten und der Aussicht auf Erfolg ist dieser Weg alternativlos. Und in drei Jahren werden wir vermutlich Europas größte Bio-Datenbank im Bereich der Sepsis-Forschung haben..“ Davon profitieren werden dann vor allem die Patienten, die im Zuge dessen auf eine persönlich auf sie und ihren Immunstatus zugeschnittene Therapie und einer damit verbundenen höheren Überlebenschance hoffen können.