Nachruf auf Prof. Dr. Wilfried Schnepp
Im Alter von 62 Jahren ist am vergangenen Freitag Wilfried Schnepp, langjähriger Inhaber des Lehrstuhles für Familienorientierte und gemeindenahe Pflege und Leiter des international anerkannten Promotionsprogrammes der Pflegewissenschaft verstorben
Prof. Dr. Wilfried Schnepp wurde 1957 in Lengerich (Westf.) geboren. Am 14. Februar 2020 ist er im Alter von 62 Jahren in Osnabrück gestorben.
Zunächst als Lehrbeauftragter, später als Lehrstuhlinhaber hat Wilfried Schnepp seit Gründung des Departments für Pflegewissenschaft der Universität Witten/Herdecke (UW/H) die Entwicklung der Pflegewissenschaft in Witten vorangetrieben. Allen Studierenden des Departments hat er nicht nur die besondere Bedeutung der familien- und gemeindenahen Pflege vermittelt, sondern auch die qualitativen Forschungsmethoden zu dessen wirksamer Bearbeitung. Sein Lehrstuhl für familienorientierte und gemeindenahe Pflege, den er bis zuletzt geleitet hat, war der erste seiner Art in Deutschland. Wilfried Schnepp war ein Visionär.
Nach seiner Krankenpflegeausbildung im Jahr 1977 absolvierte er die zweijährige Fachweiterbildung Anästhesie und Intensivpflege an der Arbeitsgemeinschaft „Katholische sozialpflegerische Fachschulen“ in Osnabrück und arbeitete auf einer operativen Intensivstation. Es folgte der Studiengang „Unterrichtsschwester/-pfleger“ [später Pflegepädagogik] an der „Katholischen Fachhochschule Norddeutschland“ in Osnabrück und nachfolgend seine Tätigkeit als pflegerischer Leiter der Fachweiterbildung in der Intensivpflege an den Katholischen sozialpflegerischen Fachschulen in Osnabrück. Dem schloss sich eine Tätigkeit als Assistent der Pflegedienstleitung an, bevor er von 1989 bis 1994 die Leitung des Referates innerbetriebliche Fortbildung an der Paracelsus Klinik Osnabrück übernahm. An der University of Wales und der Hogeschool van Utrecht studierte er von 1993 bis 1995 als Stipendiat der Robert Bosch Stiftung im Studiengang Master of Science in Nursing und erhielt den gleichnamigen akademischen Grad an der University of Wales im Jahr 1996.
Mitte der 90er Jahre startete Wilfried Schnepp seine akademische Laufbahn, zunächst als Dozent und Lehrkraft an der Katholischen Fachhochschule Norddeutschland und der Fachhochschule in Osnabrück. 1995 folgten erste Lehraufträge an der Universität Witten/Herdecke im damaligen Institut für Pflegewissenschaft. 1999 wurde Wilfried Schnepp zum Professor am Lehrstuhl für Sozialarbeit an der soziologischen Fakultät der Altai State University in Sibirien berufen. 2001 promovierte er an der Universität Utrecht in der Pflegewissenschaft zu dem Thema „Familiale Sorge in der Gruppe der russlanddeutschen Spätaussiedler – Funktion und Gestaltung“. Sein Promotionsthema enthielt zwei Kernthemen, die sowohl seine wissenschaftliche Karriere als auch sein Privatleben wiederspiegeln: Familiale Sorge und andere Kulturen, hier die russlanddeutschen Spätaussiedler.
Ende der 90er Jahre übernahm Wilfried Schnepp bei EPOS Health Consultants die inhaltliche Leitung in Projekten zur pflegerischen Versorgung im Rahmen der humanitären Hilfe für die deutschen Minoritäten in Westsibirien, die im Auftrag des Bundesinnenministeriums von der Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit durchgeführt wurden. In diesen Projekten haben zahlreiche Studentinnen und Studenten der Pflegewissenschaft der Universität Witten/Herdecke vor Ort mitgearbeitet.
2005 wurde er von der Universität Witten/Herdecke auf den Lehrstuhl für familienorientierte und gemeindenahe Pflege berufen, dessen Leitung er 2001 bereits kommissarisch übernommen hatte. Er hat an zahlreichen ausländischen Universitäten Gastvorträge gehalten, wie etwa in Gent, Utrecht, Wien, Barnaul, Novosibirsk und Haifa. 2013-2014 war er Universitätsprofessor für Pflegewissenschaft an der Universität Wien, 2012-2018 Gastwissenschaftler an der Hochschule Osnabrück.
Seit 2005 leitete er das 1997 von Prof. Ruth Schröck gegründete Postgraduiertenkolleg und überführte es 2013 in ein international anerkanntes Promotionsprogramm PhD-Pflegewissenschaft an der UW/H, welches insgesamt mehr als 95 Absolventinnen und Absolventen in 23 Jahren hervorbrachte. Allein 41 von ihnen übernahmen inzwischen europaweit an Hochschulen Professuren.
Seine Publikationsliste ist umfänglich, ebenso seine Forschungsprojekte. Er war darüber hinaus Initiator vieler Forschungsprojekte seiner Doktorandinnen und Doktoranden und seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Weiterhin war er ein gefragter Experte auf wissenschaftlichen Tagungen und Berater für politische Entscheider und Gremien. In einer Zeit der Zuspitzung der pflegerischen Unterversorgung der Bevölkerung und der deutlichen Belastungszunahme für pflegende Angehörige trugen seine Beiträge zu wichtigen Handlungsempfehlungen für die Politik bei.
Familiale Sorge, gemeindenahe Pflege, Migration, Umgang mit chronischen Krankheiten und palliative Pflege waren seine Haupt- und Herzensthemen in Forschung und Lehre. Wilfried Schnepp hat im deutschsprachigen Raum als Erster das Phänomen der pflegenden Kinder thematisiert. Sein ethnographischer Zugang zu seiner Umwelt ermöglichte ihm, Dinge zu entdecken, die sich auf den ersten Blick nicht erschlossen. In seiner Promotion zu russlanddeutschen Spätaussiedlern nahm er Kinder und Jugendliche wahr, die selbstverständlich Pflegeaufgaben für ihre Großeltern übernahmen. Dieses Erkenntnisinteresse führte zu einer intensiven Forschungsarbeit an seinem Lehrstuhl, aus der später eine Professur Pflegewissenschaft mit dem Schwerpunkt Kinder und Jugendliche hervorging.
In einer jungen Wissenschaftsdisziplin wie der Pflegewissenschaft waren seine Kenntnisse und sein Netzwerk aus dem Ausland besonders hilfreich, um diese Disziplin an der Universität Witten/Herdecke zu etablieren.
Wilfried Schnepp besaß eine besondere Gabe, Menschen um sich zu versammeln, auch, weil er das Alleinsein jenseits seiner Meditationspraxis nicht schätzte. Als überzeugter Familienmensch und Menschenfreund war er Berater in allen Lebenslagen, der sein Leben intensiv zu leben wusste, viel gegeben hat, sich schnell in andere hineinversetzen und einfühlen konnte. Durch seine außerordentliche Sprachbegabung war es ihm in den verschiedenen Kulturen möglich, auf Menschen zuzugehen und ihnen offen zu begegnen. So lernte er auch kürzlich noch Hebräisch in der Absicht, viel Zeit seines Ruhestandes in Israel zu verbringen.
In Zeiten der Flüchtlingskrise zögerte er nicht, sondern handelte. Er kümmerte sich bis zuletzt insbesondere um minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge, nahm sie bei sich auf, übernahm hier eine Vormundschaft, dort eine Pflegschaft und wurde vielen Heranwachsenden ein väterlicher Freund. Wilfried Schnepp liebte auch das Dramatische und Emotionale, welches er auf seinen vielen Reisen, aber auch in Begegnungen in den Eckkneipen dieser Welt sowie beim Opernhören erleben durfte. Er war „Alltagsethnograph“ – die Begegnungen mit Menschen waren eine unerschöpfliche Quelle skurriler Geschichten, die für Heiterkeit sorgten.
Der frühe Tod von Wilfried Schnepp hinterlässt tiefe Trauer. Wir sind dankbar für einen enormen Nachlass an Wissen und Erkenntnis. Seine Pionierarbeit wird auch in Zukunft durch seine Grundsatz-Publikationen, durch seine vielen Studierenden, Doktorandinnen, Doktoranden sowie Kolleginnen und Kollegen wichtige Wirkung entfalten.
Mit Wilfried Schnepp verlieren wir einen Visionär, Mentor, Wissenschaftler, Kollegen und lieben Freund.
Er wird uns sehr fehlen.
Das Kollegium des Departments für Pflegewissenschaft im Namen der Universitätsgemeinschaft