„Wir müssen die Strukturen des Gesundheitswesens dringend stärken, um mit den Klimaveränderungen besser umgehen zu können“
Sachverständigenrat Gesundheit & Pflege warnt vor fehlender Krisenfestigkeit des Gesundheitswesens in Zeiten der Klimakrise.
Corona-Pandemie, Krieg in Europa, Hochwasser, Waldbrände und Hitzewellen als Folgen des Klimawandels, unterbrochene Lieferketten, Energieknappheit: Selten wurde unser Land gleichzeitig durch so viele weitreichende Krisen gefordert. Diese und andere Herausforderungen betreffen immer auch die Gesundheit der Menschen und ihre gesundheitliche Versorgung.
Vor diesem Hintergrund hat der Sachverständigenrat Gesundheit & Pflege (SVR)* die Krisenfestigkeit unseres Gesundheitssystems genauer untersucht. Die Ergebnisse sind im neuen Gutachten „Resilienz im Gesundheitswesen. Wege zur Bewältigung künftiger Krisen“ festgehalten, das heute Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach überreicht wurde.
„Die Klimakrise und klimabedingte, disruptive Ereignisse wie Pandemien, Hitzewellen und Hochwasserereignisse fordern unser Gesundheitswesen immer stärker heraus“, sagt Prof. Dr. Petra Thürmann, Vizepräsidentin für Forschung an der Universität Witten/Herdecke und Lehrstuhlinhaberin für Klinische Pharmakologie. „Unser Gutachten zeigt, dass wir darauf nicht ausreichend vorbereitet sind und die Strukturen des Gesundheitswesens dringend stärken müssen, um mit den Klimaveränderungen besser umgehen zu können. Da sind andere Länder deutlich weiter.“
Andererseits sei das Gesundheitswesen selbst Treiber der Klimakrise, etwa durch den Einsatz ressourcenintensiver Doppeluntersuchungen oder den hohen Verbrauch von Plastikmüll. „Hier ist es dringend an der Zeit, klimaneutrale, umweltfreundliche Alternativen zu fördern. Aktuell analysieren wir an der Universität Witten/Herdecke unter dem Dach unseres neuen Forschungszentrums tra:ce Arzneimittel auf ihre Umweltverträglichkeit und erforschen, wie sich die Klimakrise besser im Medizinstudium verankern lassen kann“, so Thürmann weiter.
Das Prinzip Gesundheit müsse in allen öffentlichen Bereichen und politischen Entscheidungen mitgedacht werden („Health in All Policies“). „Wenn beispielsweise bei der Diskussion über ein Tempolimit auf Autobahnen auch gesundheitliche Aspekte wie die Zahl der Verkehrstoten oder die Feinstaubbelastung berücksichtigt worden wäre, wäre das Tempolimit wahrscheinlich längst eingeführt worden“, ist sie überzeugt.
Um aufzuzeigen, wie das Gesundheitssystem und die Menschen, die in diesem System arbeiten, besser auf künftige Krisen vorbereitet werden können, beleuchtet der Sachverständigenrat einzelne Versorgungsbereiche: den Öffentlichen Gesundheitsdienst, die Akutversorgung und die Langzeitpflege. Untersucht werden zudem konkrete Strategien zur Stärkung der Lieferketten, der zielgruppengerechten Kommunikation und der wissenschaftlichen Politikberatung. Auch die Verbesserung des akuten Krisenmanagements wird in den Blick genommen. Im letzten Teil des Gutachtens werden diese Empfehlungen exemplarisch auf die absehbaren Herausforderungen des Gesundheitssystems durch Hitze und weitere Pandemien angewandt.
Das Gutachten wird nun dem Bundestag und Bundesrat zugeleitet. Es ist unter www.svr-gesundheit.de abrufbar und erscheint auch im Buchhandel.
* Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege ist ein unabhängiges Gremium wissenschaftlicher Politikberatung auf Grundlage von § 142 SGB V. Seine Mitglieder in der Berufungsperiode 1.2.2019 – 31.1.2023 sind: Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach, Prof. Dr. rer. pol. Wolfgang Greiner, Prof. Dr. rer. oec. Beate Jochimsen, Prof. Dr. med. Christof von Kalle, Prof. Dr. phil. Gabriele Meyer, Prof. Dr. rer. oec. Jonas Schreyögg, Prof. Dr. med. Petra A. Thürmann.