Über 800 virtuelle Gäste beim 6. Ruhrgebietskongress zur Kinder- und Jugendgesundheit
Zum nunmehr sechsten Mal veranstaltete MedEcon Ruhr unter dem Motto „GESUND AUFWACHSEN IM REVIER“ den Ruhrgebietskongress zur Kinder- und Jugendgesundheit, der am 13. März aufgrund der Corona Pandemie erstmalig in Form eines hybriden Livestreams stattfand. Das aus der Not geborene Format ermöglichte einen neuen Rekord: Über 800 Teilnehmer*innen aus Gesundheitsversorgung, Bildungswesen, Jugendhilfe und Wohlfahrt schalteten sich zu.
Im Mittelpunkt des von NRW-Familienminister Dr. Joachim Stamp per Video begrüßten Kongresses standen diesmal sozial bedingte Entwicklungsdefizite im Kindes- und Jugendalter. Hierbei geht es um Störungen des Verhaltens, der Emotionalität und des Leistungsvermögens von Kindern und Jugendlichen, die im hohen Maße auf ein ungesundes Aufwachsen in bindungsschwachen und anregungsarmen familiären Umgebungen zurückzuführen sind. In seinem Eröffnungsbeitrag wies MedEcon-Geschäftsführer Dr. Uwe Kremer auf die Brisanz des Themas hin, seien doch an der Ruhr und in anderen Ballungsräumen fatale Differenzierungsprozesse zu beobachten: Die Leistungsfähigkeit der Gesundheitsversorgung von Kindern und jungen Familien lasse gerade in denjenigen Stadtgebieten nach, in denen die Herausforderungen in Form sozial bedingter Entwicklungsdefizite weiter zunehmen.
In seinem Hauptvortrag führte Dr. Ulrich Fegeler, niedergelassener Kinder- und Jugendarzt aus Berlin, aus, wie hierbei soziale Faktoren wie Armut und Bildungsferne die neurobiologische Entwicklung von Kindern beeinflussen, und dass die frühzeitige Erkennung von entwicklungshemmenden Lebensumständen des Kindes entscheidend sei, um nachhaltig gegensteuern zu können. Hier – in der Früherkennung wie auch der begleitenden Diagnostik und damit verbundenen Empfehlungen – sieht Fegeler auch die zentrale Rolle der Pädiatrie, der insofern eine vor allem dienstleistende Funktion für die sozialen Hilfesysteme und das Erziehungswesen zukomme. Neben der frühzeitigen Erkennung spiele die Weitervermittlung der betroffenen Familien und Kinder an sozialräumliche Hilfe- und Unterstützungsangebote eine große Rolle. Diese seien aber noch nicht ausreichend verknüpft und niederschwellig zugänglich.
Im Anschluss diskutierte Ulrich Fegeler zunächst mit Susanne Braun-Bau (Schulministerium NRW), Ursula Hawighorst (AWO Westliches Westfalen), Jost Manderbach (Jugendamt Bochum) und Prof. Rainer Siefen (Kinder- und Jugendpsychiater) über die Möglichkeiten sozial bedingte Entwicklungsdefizite zu erkennen und vor Ort zu bearbeiten. Eine besondere Rolle spielte dabei die Erkenntnis, dass dem gesamten Familiengefüge und der Rolle der Eltern zentrale Aufmerksamkeit gewidmet werden müsse. Dies schließe vielfach ein, mit dem erzieherischen Unvermögen von durchaus wohlwollenden Eltern mit Empathie wie auch Nüchternheit zu begegnen. Gerade hier sei die Kooperation der Hilfe- und Unterstützungssysteme das A und O.
Daran schlossen in einer zweiten Runde Silvia Bader (Koordinierungsstelle Kommunale Prävention, Stadt Gelsenkirchen), Elke Becker-Gugel (Berufsverband Kinderkrankenpflege Deutschland), Dr. Axel Iseke (Landeszentrum Gesundheit NRW) und Christine Menker (LWL-Landesjugendamt) an. Es ging nämlich um den Ausbau von sozialräumlichen und familienbezogenen Versorgungsstrukturen. Als mögliche Lösungsansätze wurden sozialräumliche Lotsendienste, der Einsatz der Kinderkrankenpflege als zusätzliche Ressource in Kitas und Schulen sowie die Stärkung der Rolle des öffentlichen Gesundheitsdienstes als Vermittlungsglied zwischen den verschiedenen Systemen genannt.
Dabei schälte sich mit Blick auf eine Verbesserung der sozialräumlichen Kinder- und Familiengesundheit ein starker Konsens heraus: An die Stelle eines Flickenteppichs zeitlich begrenzter Modellprojekten und Einzelinitiativen müssen Kooperationsstrukturen treten, die auf anerkannten Standards und einer regelbasierten Finanzierung beruhen. Man komme also nicht ohne Veränderungen in den politischen Rahmensetzungen aus.
Die Aufnahme des Livestreams sowie weitere Informationen finden Sie auf der Homepage www.gesund-aufwachsen.ruhr