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Immunzellen beim Rasen zusehen

Neues Mikroskop 96-mal schneller

Universitätsmedizin Essen am 3. Juli 2025

Plötzlich ist es passiert: Beim Apfelschälen rutscht das Messer ab und schneidet in den Finger. Sofort schwärmen Immunzellen aus und greifen eindringende Bakterien an, um den Körper zu schützen. Aus diesem Wissen entwickelt Prof. Dr. Matthias Gunzer von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen (UDE) ein Mikroskop, mit dem Leben gerettet werden sollen. Der Immunologe hat dafür mit Partnern an der UDE und dem Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften – ISAS – e.V. knapp 1,3 Millionen Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingeworben; davon fließen knapp 400.000 Euro an die Medizinische Fakultät der UDE. Das „ComplexEye“ genannte Mikroskop wird 96-mal schneller sein als bisherige Modelle.

Stubenfliege (Motiv A) und Vergrößerung eines Facettenauges (Motiv B) / Bildrechte: Prof. Dr. Matthias Gunzer
Geschwindigkeit und Beweglichkeit von Immunzellen sind hoch. Um sie zu messen, muss für ein Zeitraffervideo alle acht Sekunden ein Bild gemacht werden. Ein herkömmliches Mikroskop mit einem Objektiv kann nur vier Proben gleichzeitig analysieren. „Das ist zu langsam, um große Probenanzahlen zu untersuchen und wertvolle Strategien für Diagnostik und Therapie abzuleiten. Daher bauen wir ein Multi-Lens-System und entwickeln KI-gestützte Software. Es wird 96-mal schneller sein“, erklärt Professor Gunzer.

Der Direktor des Instituts für Experimentelle Immunologie und Bildgebung forscht mit den Duisburger Elektroingenieuren Prof. Dr. Anton Grabmaier, Prof. Dr. Hendrik Wöhrle und Dr. Reinhard Viga sowie einem Team um Dr. Jianxu Chen vom ISAS in Dortmund. Professor Gunzers Team hat die biomedizinische Expertise, das Systemdesign in Hard- und Software kommt aus Duisburg und die neue, KI-basierte Analyse-Software aus Dortmund.

Das auf drei Jahre angelegte Vorhaben hat im Juni 2025 begonnen, nach zwölf Jahren Vorbereitung. Es ist ein Prototyp entstanden, der bereits 16 Objektive nutzt. Nun sollen auf eine postkartengroße Standardlochplatte 96 schlanke Objektive nebst komplexer Videotechnik montiert werden, mit denen man 384 Filme gleichzeitig drehen kann.

„Um die Anforderungen an Hochdurchsatzanalysen zu erfüllen, entwickeln wir eine Software mit Echtzeit-Verfolgung, die ohne leistungsstarke externe Computer auskommt“, erläutert Dr. Chen. „Das ist beispielsweise möglich, da Edge Devices, also parallel arbeitende kleine Prozessoren, die zeitintensive Bildanalyse übernehmen, auch mit KI“, ergänzt Dr. Viga. Die Daten werden unmittelbar ausgewertet, weil es lebenswichtig sein kann, die Ergebnisse schnell zu haben: „Manchmal sind die Immunzellen gestört“, sagt Prof. Dr. Gunzer. „Wenn wir wissen, wie sie sich bewegen, können wir Krankheiten erkennen oder Wirkstoffe entwickeln, die ihr Tempo steuern.“

So ließe sich mit dem ComplexEye ablesen, ob jemand auf der Intensivstation kurz vor einer Sepsis steht. Innerhalb weniger Stunden wäre das Ergebnis da, und ein Wirkstoff könnte verabreicht werden. Auch bei Krebs liefert die Bewegungsfähigkeit dieser Zellen wertvolle Anhaltspunkte für die Diagnostik und Therapie.

Bildunterschrift für die Motive A bis E: Im Zuge des ComplexEye-Projektes überträgt man das biologische Konzept der Facettenaugen von Insekten, zum Beispiel der Stubenfliege (Motiv A), auf ein künstliches Mikroskop-System. Einzelne Linsen des Facettenauges (Motiv B) werden mit schlanken HQ-Tubenlinsen (Motiv C) nachgebildet und zu einem System aus 96 Linsen (Motiv D) zusammengefügt. Motiv E veranschaulicht die Größenunterschiede.

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