Begrenzter Speicher bei Menschen und Vögeln
Kognitive Neurowissenschaften
Vögel und Menschen besitzen in ihren Gehirnen sehr unterschiedliche Netzwerke von Neuronen. Trotzdem wird ihr Arbeitsgedächtnis durch ähnliche Mechanismen eingeschränkt.
Das Arbeitsgedächtnis ist die Fähigkeit des Gehirns, Informationen für kurze Zeit in einem abrufbaren Zustand zu halten und zu verarbeiten. Es ist unerlässlich für die Ausführung komplexer kognitiver Aufgaben, zum Beispiel Denken, Planen, Befolgen von Anweisungen oder Lösen von Problemen. Einem Forschungsteam der Ruhr-Universität Bochum (RUB) ist es gelungen, diesen speziellen Bereich des Gedächtnisses bei Vögeln näher zu erforschen und Vergleiche zur Datenspeicherung im Säugetierhirn anzustellen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fanden heraus, dass Vögel und Affen – trotz ihrer unterschiedlichen Gehirnarchitektur – die gleichen zentralen Mechanismen und Grenzen des Arbeitsgedächtnisses aufweisen.
Die Ergebnisse der Studie beschreibt ein Team der RUB-Arbeitsgruppe Neuronale Grundlagen des Lernens um Lukas Hahn und Prof. Dr. Jonas Rose in der Zeitschrift eLife, online veröffentlicht am 3. Dezember 2021.
Forschung am Vogelhirn ergänzt bestehende Modelle
Die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses ist begrenzt – der Mensch kann hier zum Beispiel nur etwa vier Informationen gleichzeitig aufnehmen – und genau diese Einschränkung war es, die die Bochumer neugierig machte. „Es gibt verschiedene Theorien darüber, wie die Begrenzung im Gehirn zustande kommt und welche Rolle das Netzwerk der Neuronen dabei spielt“, beschreibt Erstautor Lukas Hahn. „Die bestehenden Modelle beruhen dabei allerdings ausschließlich auf Studien an Menschen und anderen Primaten. Diese wollten wir mit unserer Expertise ergänzen.“
Hahn, der an der Fakultät für Psychologie im Bereich von Jonas Rose arbeitet, ist auf die Erforschung neuronaler Grundlagen der Kognition im Vogelhirn spezialisiert. „Das Arbeitsgedächtnis einiger Vögel wie Krähen verfügt über eine ähnliche Kapazität wie das des Menschen, obwohl sich ihre Gehirnarchitektur stark von der der Säugetiere unterscheidet“, so Jonas Rose, Leiter des Bereichs Neuronale Grundlagen des Lernens an der RUB. „Wir wollten wissen: Wie können Gehirne mit so deutlichen strukturellen Unterschieden Arbeitsgedächtnisse mit ähnlichen Kapazitäten hervorbringen?“
Testdesign von Makakenaffen auf Rabenkrähen übertragen
Die Bochumer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beobachteten dafür die Krähen der Fakultät für Psychologie in Bochum. Sie testeten das Arbeitsgedächtnis der Vögel mit einer Übung, die ursprünglich für Makakenaffen entwickelt worden war. „Wir haben den Krähen beigebracht, einen Bildschirm anzuschauen und sich dort eine unterschiedliche Anzahl von farbigen Quadraten zu merken“, erläutert Lukas Hahn. „Nach einer Pause mit einer Sekunde Schwarzbild wurden ihnen erneut Quadrate auf dem Bildschirm präsentiert, die dann aber leicht verändert waren. Die Vögel sollten nun herausfinden, welches Quadrat sich verändert hatte.“
Während die Krähen die Aufgabe ausführten, erfassten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Neuronenaktivität in einem Bereich des Gehirns, der dem präfrontalen Kortex entspricht – dem zentralen Knotenpunkt der Kognition bei Säugetieren.
„Die Untersuchungen zeigten, dass die Neuronen im Krähenhirn auf die wechselnden Farben praktisch genauso reagierten wie die Neuronen bei Affen“, analysiert Rose und weiter: „Mit zunehmender Anzahl der Gegenstände, die sich die Krähen merken mussten, veränderte sich zudem die Menge der zu verarbeitenden Informationen im Vogelhirn – ein Phänomen, das im gleichen Maße zuvor bei den Affen festgestellt worden war.“
Gleiche Mechanismen trotz unterschiedlicher Gehirnarchitektur
Die aufgedeckten Ähnlichkeiten zwischen den entfernt verwandten Spezies Vogel und Säuger bestätigen bereits bestehende Kernideen über die Grenzen des Arbeitsgedächtnisses. Zudem deuten sie darauf hin, dass Vögel und Affen trotz ihrer unterschiedlichen Gehirnarchitektur die gleichen zentralen Mechanismen und Grenzen des Arbeitsgedächtnisses aufweisen. Und auch Ideen für ein Folgeprojekt hat Lukas Hahn bereits im Kopf, nämlich die Untersuchung, wie unterschiedliche Regionen des Vogelgehirns die Arbeitsgedächtnissignale miteinander verarbeiten. „Das wäre eine spannende zukünftige Fragestellung“, so Hahn, „um weitere neuronale Grundlagen der Kognition im Vogelhirn aufzudecken.“
Förderung
Die Studie wurde durch den Sonderforschungsbereich 874 (SFB 874) der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie die VolkswagenStiftung gefördert. Der SFB 874 „Integration und Repräsentation sensorischer Prozesse“ besteht seit 2010 an der Ruhr-Universität Bochum. Die Forscherinnen und Forscher beschäftigten sich mit der Frage, wie sensorische Signale neuronale Karten generieren und wie daraus komplexes Verhalten und Gedächtnisbildung resultieren.
Originalveröffentlichung
Lukas Alexander Hahn, Dmitry Balakhonov, Erica Fongaro, Andreas Nieder, Jonas Rose: Working memory capacity of crows and monkeys arises from similar neuronal computations, in: elife, 2021, DOI: 10.7554/eLife.72783